Der stationäre Einzelhandel steht vor einem Paradigmenwechsel. Der Veränderungsdruck ist offensichtlich: Filialschließungen, Geschäftsaufgaben und die Verkleinerung von Einzelhandelsflächen weisen darauf hin, dass sich für das Überleben des stationären Handels etwas ändern muss. Aber was ist zu tun? An oberster Stelle steht: Der Einzelhandel muss seine üblichen Denk- und Handelsweisen überdenken. Neue Konzepte notwendig, um den Kunden ein neues und interessantes Shopping- und Einkaufs-Erlebnis zu bieten. Hier kommt unter anderem Retail-as-a-Service, kurz RaaS ins Spiel. Dabei ändert sich die Funktion der Geschäfte vom Verkaufsinstrument zum Dienstleistungsanbieter. Nicht nur für die Kundschaft im Geschäft, sondern als Dienstleister für Marken und Unternehmen, denen der Ladenbesitzer sein Know-how und einen Teil seiner Ladenfläche für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung stellt, um deren Produkte am Point of Sale den Kunden vorzustellen. Erlebnis-Shopping – das Geschäft wird zum Showroom.

Das Geschäft wird zum Showroom

„Retail-as-a-Service“, manchmal auch als „Storefront-as-a-Service“ bezeichnet, nennt sich das Konzept aus den USA. Dabei wird das physische Geschäft zum Showroom. Dort werden Artikel ausgestellt. Und dort können die Kunden die Produkte sehen, berühren und erleben. Und wenn ein Produkt gefällt, kann es online bestellt werden. Danach wird es dann umgehend nach Hause geliefert.

Retail-as-a-Service – wie funktioniert das Konzept

Das Konzept “Retail-as-a-Service” beinhaltet die folgenden Komponenten:

  • Store: Der Anbieter betreibt den Store, stellt und schult das Personal, welches sich hervorragend mit den Produkten auskennt. Die Räume sind modern und weitläufig gestaltet, sodass jedes Produkt Platz zum Wirken hat
  • Sortiment: Das Sortiment ist überschaubar und wechselt monatlich oder einem anderen Turnus. So bleibt der Store auf für Kunden interessant. Meist sind die Produkte erklärungsbedürftig
  • Kunden: Kunden können die Produkte ausprobieren und erhalten über Tablets, Displays oder über das Smartphone Informationen zum Produkt. Das Personal steht für weiterführende Fragen zur Verfügung
  • Transaktion: Produkte können entweder im Laden gekauft oder online bestellt werden. Die Stores sind nicht auf die Transaktion ausgelegt, es geht darum, erklärungsbedürftige Produkte erlebbar zu machen
  • Daten: Die Läden sind mit Kameras ausgestattet. Diese beobachten, wie die Kunden mit den Produkten interagieren, was sie ausprobieren und wie lange sie sich damit beschäftigen. Zusätzlich protokollieren die Verkäufer nach den Gesprächen, welche Fragen der Kunde gestellt und welche Kommentare er abgegeben hat. Die Daten werden den Herstellern zur Verfügung gestellt
  • Geschäftsmodell: Um die Produkte auszustellen, zahlen Hersteller eine monatliche Miete
Erlebnis-Shopping - VAUND lädt zum Ausprobieren ein

Erlebnis-Shopping – VAUND lädt zum Ausprobieren ein (Quelle: Realtale)

Retail-as-a-Service – wo sind die Ursprünge?

Die Ursprünge hat Retail-as-a-Service in den USA. Vor dem Hintergrund, dass sich online innovative Produkte finden lassen, die der stationäre Handel nicht bietet, gründeten Vibhu Norby, William Mintun, Phillip Raub und Nicholas Mann 2015 „B8ta“. Ziel war es, „Räume zu erschaffen, in denen Kunden die neuesten Produkte ausprobieren können“. Das Motto: „Try before you buy“. Nicht der Umsatz pro qm zählt, sondern das Erlebnis. Zur Unterstützung der eigenen Filialen entwickelte B8ta das RaaS-Modell. Und das Prinzip fruchtete: Nach der ersten Testfläche in Palo Alto im Silicon Valley folgten etliche Geschäfte. Daneben fand das Modell auch weltweit schnell Nachahmer. In den USA zählen unter anderem „Neighbourhood Goods“ und „Showfields“ mit Filialen in New York und Miami zu den RaaS-Anbietern. In China laden die „JD Retail Experience Shops” des Retail-Giganten JD.com zum haptischen Erlebnis ein. Auch B8ta selbst ist inzwischen auch in Asien in den Arabischen Emiraten und China aktiv.

Erlebnis-Shopping – das Geschäft wird zum Showroom – weitere Vertreter der erfolgreichen Showroom-Strategie

Aktuell verfolgen die Showroom-Strategie vor allem Online-Händler, die stationäre Geschäfte eröffnen. Beispiele sind Herrenmode-Händler wie Bonobos und SUITSUPPLY oder MM.LaFleur für Damenkleidung. In einem früheren Beitrag ist das Showrooming-Konzept bereits detailliert beschrieben: “Einkaufsatmosphäre (4): Der richtige Ansatz zählt“. In Deutschland ist VAUND der prominente Vertreter des Ansatzes. Details zu den Anfängen von VAUND finden sich im Beitrat “VAUND – Retail-as-a-Service, jetzt auch in Hannover“. Ein weiterer RaaS-Vertreter in Deutschland ist _blaenk – “Digitaler Erlebnisstore _blaenk – Point of Experience“.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass bei dem Showrooming-Konzept das Beste aus dem physischen Einzelhandel und dem Online-Handel vereint wird. Daher wird das Konzept auch oft als “Offline-Online-Komplementarität” bezeichnet.

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Retail-as-a-Service – Vorteile für Kunden

Was bringt das neue Konzept für stationäre Händler? Bei den aktuellen geringen Umsatzzuwächsen im stationären Handel, unter anderem hervorgerufen durch das Wachstum im Online-Handel, und der wachsenden Beliebtheit von “Showrooming” lassen sich Kunden und Käufe aus dem Online-Handel zurückgewinnen. Und zwar durch das Testen und Vergleichen von Produkten im Geschäft. Damit können auch neue Kunden gewonnen und gehalten werden. Weiterhin sorgt der Wechsel der Produkte und des Sortiments für Abwechslung. Der Kunde findet das spannend und interessant. Der Besuch im Laden wird zum Erlebnis, Erlebnis-Shopping – das Geschäft wird zum Showroom.

Retail-as-a-Service – Vorteile für den Handel

Offen sein für neue Geschäftskonzepte und das Besinnen auf die Alleinstellungsmerkmale des stationären Handels – Waren und Produkte greifbar machen – das sind die zwei wesentlichen Erfolgsfaktoren für “Retail-as-a-Service”. Es bietet Händlern auf einer kleinen Fläche besondere und passgenaue Kampagnen, die eine emotionale Bindung und Identifikation mit der Marke/dem Produkt entstehen lässt. Das Kennenlernen und Ausprobieren belegten den Mehrwert des Produktes. Ein positives Erlebnis bleibt in Erinnerung und regt zu Kauf an. Erlebnis-Shopping par excellence. 

Auch die weiteren Vorteile für den Handel liegen auf der Hand: Niedrige Lagerbestände mit niedrigen Lagerkosten und geringere Lagerflächen, keine Kosten für unverkaufte Bestände, Verkaufspersonal, das sich Zeit nimmt, die Kunden zu beraten und betreuen und geringere Retouren.

Retail-as-a-Service – Kooperation zwischen Handel und RaaS-Anbieter

Die Weiterentwicklung des Retail-as-a-Service-Konzeptes mündet aktuell in eine enge Kooperation zwischen dem größten inhabergeführten Modehaus in Norddeutschland (L&T Lengermann und Trieschmann) und dem Retail-as-a-Service-Anbieter VAUND. Gestartet hat die Zusammenarbeit bereits im Mai 2021. Seitdem betreibt VAUND auf 130 Quadratmetern eine Shop-in-Shop-Fläche im Osnabrücker Modehaus (VAUND@L&T). Passend zum Motto von L&T: “Das müssen Sie erleben” können Kunden dort ein sorgfältig kuratiertes und wechselndes Angebot ausgefallener und hochwertiger Brands erleben, die das Einkaufen zum Erlebnis machen.

VAUND bei L&T in Osnabrück

Erlebniskauf bei VAUND / L&T in Osnabrück (Quelle: Realtale)

L&T-Mitgeschäftsführer Thomas Ganter sagt zu der Kooperation: “Das Angebot von VAUND wurde von unseren Kunden sehr gut angenommen und hat unsere Attraktivität in der Region noch einmal merklich erhöht”. Zusätzlich hat VAUND die eigene Flächenexpansion bei anderen Händlern weiter vorangetrieben. Nach Engelhorn in Mannheim, Breuninger in Stuttgart konnte die nächste Shop-in-Shop-Fläche bei dodenhof, Norddeutschlands größtem Shopping-Center in Posthausen bei Bremen, eröffnet werden.

Erlebnis-Shopping – das Geschäft wird zu Showroom

In zunehmendem Maße wird in ausgewählten stationären Stores ein kuratiertes Shopping-Erlebnis angeboten. In den Stores werden wechselnde Markenwelten und dazu passende, innovative Produkte perfekt in Szene gesetzt. Die Konsumenten stehen im Mittelpunkt des Einkaufserlebnisses, das zum Ausprobieren einlädt und eine fundierte Kundenberatung mitliefert. Hierbei wird Showrooming als Geschäftsmodell genutzt und von datenbasierten Abrechnungsmodellen profitiert. Durch unterschiedliche Maßnahmen und technische Lösungen werden zudem am POS relevante Insights zum Informationsverhalten sowie den Bedürfnissen und Meinungen der Konsumenten anonymisiert generiert und den Herstellern und Händlern zur Verfügung gestellt. Damit wird das Einkaufen wieder zum Erlebnis.

Serie – Einkaufserlebnisse im Handel

Zu guter Letzt: In einer Serie von Beiträgen beleuchteten wir die Einkaufserlebnisse im Handel von verschiedenen Seiten. Dabei gilt es aufzuzeigen, wie der Erlebnis-Einzelhandel in Zukunft aussehen wird. Und der Bogen spannt sich über das Erlebnis Shopping, Social Shopping, Personal Shopping und das Service Shopping. Dabei zeigen schon viele Beispiele erste und innovative Ansätze im Erlebnis-Einzelhandel.

In diesem Zusammenhang erschienen sind bereits die folgenden Beiträge: