Wie sieht die Zukunft des Handels aus? Wie werden neue Technologien den Handel, insbesondere den stationären Handel verändern? Zur Beantwortung dieser Fragen wird vermehrt der Blick in Richtung der USA gerichtet. Doch finden wir dort Antworten? Nein – dort wird vieles nicht anders gemacht als in Europa. Im Gegenteil, der Blick nach Asien ist lohnenswerter – dort ist bereits vieles im Handel Alltag, was in Deutschland noch lange Zukunftsmusik sein wird. Online-Bestellungen, die in Minuten zugestellt werden – Livestream-Einkaufen über Video- und Social Media-Plattformen – Einkaufen mit dem Smartphone und vieles mehr. Daher ist es entscheidender, den Blick über den Tellerrand gen Asien zu richten. Es lohnt sich die digitale Einkaufsinspiration aus China.

Vom chinesischen Retail lernen – New Retail, Boundless Retail, Smart Retail

New Retail – so heißt das Motto von Alibaba und Jack Ma, dem Gründer und CEO des größten Händlers der Welt. Aber auch Jing Dong, besser bekannt als JD, ist einer der größten Online-Direktverkäufer in China. Statt von New Retail spricht JD von Boundless Retail: Die Kund*innen können bekommen, was immer sie wollen, wo immer sie es wollen, wann immer sie es wollen. Auch an Tencent – einem multinationalen Technologieunternehmen aus China – kommt man nicht vorbei. Tencent propagiert den Smart Retail – zum einen, weil dessen Super-App WeChat längst zur zentralen Marketing- und Payment-Plattform für Händler und Kund*innen in China geworden ist. Und zum anderen, weil der Geschäftsbereich Tencent Cloud spannende Lösungen für den “Smart Retail” am Start hat.

Chinesische Retailer steuern in die gleiche Richtung

Die genannten Unternehmen gehen alle in die gleiche Richtung: New Retail, Boundless Retail und Smart Retail versucht die Lücke zwischen Offline- und Online-Handel zu schließen. Die Vision ist eine Handelswelt, in der Analytik maßgeschneiderte Anzeigen, Produkte und Dienstleistungen sowie Kommunikationsansätze für die einzelnen Kund*innen über Offline- und Online-Kanäle herstellt. Weiterhin soll die genaue Vorhersage des Bestandsbedarfs und des Umsatzvolumens die Kosten optimieren und die Nachhaltigkeit des Unternehmens erhöhen. Zudem sollen Logistikrouten, Lagerhaltungs- und Fulfillment-Center sowie anlassbezogene Preise verbessert werden, gebündelte Pakete und Co-Branding die Verkaufskapazität erhöhen und ein besser gestaltetes Kundenerlebnis letztendlich zu einer gezielten Gestaltung von Konsumanlässen führen.

Digitalisierung und das digitale Einkaufserlebnis stehen im Mittelpunkt

Die Einführung innovativer digitaler Technologien ist eng mit dem Wachstum von E-Commerce und der Wirtschaft insgesamt verbunden. Das Smartphone nimmt in China eine stärkere Rolle ein als bei uns. Die Zahlen in einzelnen Studien schwanken, aber es scheint durchaus realistisch, dass ein Großteil der chinesischen Kund*innen über ihr Smartphone einkaufen. Die Verlockungen eines großen Marktes mit konsumfreudigen Verbrauchern und modernste Technologien üben Faszination auf Handelsmanager weltweit aus. Im Kern beschreibt „New Retail“ eine Vision, die vollständige Integration von online, offline, Logistik und Technologie in einer einzigen Wertschöpfungskette.

Interessant ist auch der Einsatz weiterer Technologien im Handel: Neben dem Smartphone finden sich Anwendungsfälle für Robotik, Automatisierung und Gesichtserkennung. Viele Convenience-Stores kommen mit einem Minimum an Personal aus. Kameras und RFID ermitteln, was die Kunden aus den Regalen oder Fächern nehmen. Die Bezahlung erfolgt dann per App meist in Verbindung mit einem QR-Code. In Alibabas Tao-Café erkennt man die Kunden per Gesichtserkennung, die ihre Speisen und Getränke an einem Automaten bestellen und per Gesichtserkennung bezahlen. Anstatt zwischen online und offline getrennt, tauchen “Shopping Momente” überall und auf viele verschiedene Arten auf – in den sozialen Medien, im Online-Shop, KI-basiert oder aber auch stationär – alles nahtlos miteinander verbunden werden. Zur Digitalisierung im chinesischen Handel haben wir auch bereits im Beitrag “Digitalisierung im Handel in China” berichtet.

E-Commerce in China – mobile Shopping als Lebenseinstellung

Smartphone anstatt PC, Shoppen im Umfeld von Social Media und kulturell geprägte Ansprüche an Produkte: Chinesische Kund*innen haben andere Gewohnheiten und Vorlieben als Verbraucher in der westlichen Welt. Mit dem Smartphone in der Hand ins Einkaufsvergnügen – dieses Bild trifft auf kaum ein Land besser zu, als auf China. Mehr als 800 Millionen der fast 1,4 Milliarden Chinesen nutzen täglich das Internet, doch kaum einer von ihnen sitzt dafür am PC. 98 Prozent der Nutzer sind mobile Internetuser und viele von ihnen teilen eine Leidenschaft – Online-Shopping. Via Smartphone erobern sie die Angebote der großen Internetunternehmen und verschaffen sich darüber auch Zugang zu begehrten westlichen Produkten. Das Potenzial des Online-Handels in China ist nach wie vor riesig.

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Online merges Offline (OMO) – die Neuerfindung der stationären Supermarktkette Hema Xiansheng (盒马鲜生)/Freshippo

Der chinesische Markt lebt bereits erfolgreich vor, in welche Richtung auch der stationäre Handel in Europa in Zukunft gehen kann. Online-Shopping und Einkäufe im stationären Handel verschmelzen, das Smartphone baut Brücken zwischen den Welten und bietet den Kund*innen neue und bessere Einkaufserlebnisse. In der Hema-Supermarktkette, auch unter dem Namen Freshippo bekannt, ist der Handel von morgen heute schon Realität. Dreh- und Angelpunkt von New Retail ist auch hier das Smartphone. Ohne dieses gibt es keine Verbindung zwischen Kund*innen einerseits und Online- sowie Offline-Händler andererseits.

Das Einkaufen in den Hema-Supermärkten ist eine durch das Smartphone getriebene Erfahrung: Im Laden erhalten Kund*innen beim Scannen von Preisschildern an der Ware oder am Regal Zusatzinformationen zum Ursprung der Artikel, oder die Uhrzeit, an denen sie in den Laden geliefert wurden. Genauso kann der Warenkorb über das Scannen des Artikels befüllt werden. Kund*innen entscheiden anschließend, ob der Einkauf nach Hause geliefert wird oder direkt mitgenommen wird. Bezahlt werden kann durch das in der Supermarkt-App integrierte Alipay. Wer im Umkreis von drei Kilometern um den Supermarkt lebt, kann Ware auch von zu Hause aus bestellen. Freshippo verspricht, diese binnen 30 Minuten zu liefern.

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Livestream-Shopping in China – eine Symbiose aus Handel und Unterhaltung

Livestream-Shopping ist im chinesischen E-Commerce und Handel schon seit Jahren populär. Über Livestream-Shopping generierte Umsätze chinesischer Onlinehändler haben sich 2020 verdoppelt. Die Mischung aus Teleshopping und Tupperparty dient vielen Chinesen als abendliche Entspannung. In mehrstündigen Sendungen präsentieren Key Opinion Leader (KOL) ihren Followern alle möglichen Produkte, immer mit dem Versprechen, dass diese nirgendwo günstiger zu bekommen sind. Neben der Erkundung neuer Produkte, der Kommunikation mit Anbietern, einem Warenkorb und dem persönlichen Profil ist der Social Feed eine der Hauptfunktionen. In diesem Feed werden Inhalte von Anbietern und Shop-Besitzern an die Konsumenten gestreamt. Ein direkter Link vom Livestream zu Produkten mit Bild-in-Bild-Funktion ermöglicht es den Nutzern, Produkte mit nur wenigen Klicks zu kaufen, ohne dass für ein Ereignis der Livestream verlassen wird.

Einige Resultate in Beispielen verdeutlichen den Erfolg von Livestream-Shopping: 15.000 verkaufte Lippenstifte in fünf Minuten. 50 Millionen Zuschauer, wenn Lei Jun, der CEO von Xiaomi, dem chinesischen Elektronikhersteller, die neuesten Smartphones verkauft. 128 Millionen Euro Umsatz mit nur zwei Shows an einem Tag.

Zum Livestream-Shopping haben wir in den folgenden Beiträgen schon detailliert berichtet: “2020 – Jahr des Livestream-E-Commerce“, “Zukunft des E-Commerce – Livestream-Shopping” und “Livestream Einkaufen – Trend mit Zukunft?“.

Livestream-Shopping in China - eine Symbiose aus Handel und Unterhaltung

Livestream-Shopping in China – eine Symbiose aus Handel und Unterhaltung (Quelle: TechNote/Emma Lee)

Social Commerce und Shopping – Social Media sind integraler Bestandteil des Lebens der meisten Chinesen

Die uns bekannten Social Media-Plattformen wie Facebook, YouTube, Instagram, Twitter und Co. haben in China kaum Bedeutung. Dafür gibt es eine Reihe anderer chinesischen Social Media Apps, die Riesenpopularität besitzen und täglich Nutzung bei der chinesischen Bevölkerung finden.

 WeChat (微信) ist das größte soziale Netzwerk in China mit über einer Milliarde monatlicher aktiver User. WeChat ist ein Instant-Messenger, der die Funktionen von WhatsApp und Facebook vereint. Neben dem Nachrichtenbereich gibt es auch die Möglichkeit, Fotos und Kurzvideos mit den eigenen Freunden zu teilen oder nach Personen in der Umgebung zu suchen. WeChat wurde 2011 ins Leben gerufen und besitzt mittlerweile zahlreiche weitere Funktionen. Seit 2017 ist sogar die mobile Bezahlung direkt über WeChat mit dem eigenen Smartphone möglich. Weitere Funktionen sind Spiele, Online-Shopping, Reise- & Restaurantbuchung und anderes. Das gesamte Einkaufen und weitere Dienstleistungen lassen sich über WeChat abwickeln.

WeChat ist allerdings nicht die einzige Social Media-Plattform. Der Markt teilt sich auf knapp zehn große Anbieter auf, die ähnliche Funktionen anbieten. Hervorzuheben sind dabei Tencent QQ (腾讯 QQ), Weibo (微博), Douyin/TikTok (抖音) und Bilibili ().

Social Commerce in China

Social Commerce in China (Quelle: digitalcrew)

China gibt uns einen Einblick in die Zukunft des Einzelhandels – die digitale Einkaufsinspiration aus China

Taobao, WeChat, Alibaba oder AliExpress – Online-Dienste und Apps, die hierzulande nur wenige kennen. Dabei zeigen die in China populären Plattformen, in welche Richtung sich der Einzelhandel und das Onlineshopping in Zukunft entwickeln werden. China hat den Westen und auch die USA in Sachen E-Commerce schon vor langer Zeit um Längen überholt. In den späten Neunzigern, als Amazon zum ersten Mal die Spielfläche betrat, übersprang China das Onlineshopping am PC komplett und konzentrierte sich ausschließlich auf Smartphones. Das erklärt vielleicht, warum Smartphones mit großen Displays in China schon sehr frühzeitig extrem beliebt waren, lange bevor das im Westen der Fall war.

Von China zu lernen funktioniert am besten, wenn man die dortige Denkweise übernimmt: Nutzen Sie ein reichhaltiges vertikales digitales Ökosystem innerhalb Ihrer Branche, das über das Kerngeschäft hinausgeht. Lassen Sie Raum in Ihrem Unternehmen, um digitale Ideen zu entwickeln und aus verschiedenen Perspektiven zu experimentieren. Sehen Sie es als unumgänglich an, digitale Technologien, neue Geschäftsansätze und Konsumentenorientierung bis ins letzte Detail zu nutzen.